Südkapp

Ich bin das schöne, dann aber doch auch recht unaufregende Sertestal an die Südküste gefahren. Davor eine lange Hocheben, vom Skitourismus erschlossen und weitgehend verscheußlicht. Danach über die 42 und 460. Wenn ich wieder zum Motorradfahren nach Norwegen komme, dann werde ich mich ausschließlich auf Straßen mit 3 Ziffern bewegen, die zwar oft schlecht(er)en Belag haben (der nächste Bitumenrutscher), dafür aber Kurven und Kuppen und Kehren und alles, was beim Fahren Freude macht.

Den Weg raus zum Kapp Lindesnes wollte ich machen, weil dort der südlichste Punkt Norwegens ist – ich fand die Idee hübsch, in Norwegen ganz im Süden und ganz im Norden gewesen zu sein. Tatsächlich muss man auch hier Eintritt bezahlen, dafür gibt es eine sehenswerte Ausstellung über den 1915 erbauten Leuchtturm und die Befeuerungsgeschichte davor. Besonders fasziniert haben mich die Wehr- und Bunkergänge, die allesamt zugänglich sind, teilweise unbeleuchtet und ein wenig unheimlich, dann plötzlich wieder ein Ausstellungsraum. 

Über den Tag verteilt gab es recht abwechslungsreiches Wetter: losgefahren bin ich bei 23 Grad, im Sertestal ging es bis auf 30 Grad, dann kurze Abendsonne am kleinen Hafen,

abends am Leuchtturm dann zogen Wolken auf, ein kühler Wind, es ging auf 13 Grad. Ich unterhalte mich länger mit einem Mann aus der Nähe von Halle über Schichtarbeit, die Feuerwehr, Kinder und die Notwendigkeit für kleine und größere Auszeiten. Er ist ganz begeistert von meinem Sitzfleisch: „Dia bluuded doch da Aasch, ööda?“ Er wünscht mir vor allem toitoitoi, dass mich keiner wegfängt und der Hirsch gut durchhält. Er ist Angler – und den Hirsch habe ich erst nach einer halben Stunde verstanden. Am Nordkapp kam mir einer mit Rentiergeweih am Rennradlenker entgegen. Vielleicht mache ich mir ein Gamsbockgeweih vorne auf das Motorrad?

Als ich gegen 22.30 Uhr noch einmal ans Meer gehe, ist es leicht neblig, windstill und vor allem insgesamt absolut still. Ich verabschiede mich – mir ist nach Abschied, ich will fahren, will aber auch wiederkommen, merke aber auch, dass im Gefühl des Abschieds die letzen Wochen vor der Reise noch einmal angespült werden. Ich grüße über die See – wohin auch immer. 

Zwei Dinge will ich nicht vergessen: die norwegische Sprache und Wohnmobile. Lesend und im Kontext kommt man mit Deutsch überraschend gut durch, gesprochen wird im letzten Winkel Englisch. Ein freundliches „Takk“ als Dank am Ende des Einkaufs hat mir manches Lächeln beschert. Unterwegs habe ich ein neues Lieblingswort gesammelt (wie Cattle Grid in Schottland): „Vegbom“. Der Vegbom ist eine angekündigte Schranke, die offenbar geschlossen wird, wenn die Straße nicht befahrbar ist. Meist wird sie einige hundert Meter zuvor angekündigt, manchmal – zumindest in meiner Erinnerung – aber auch erst 50 Meter davor, zudem in einer Kurve. Die Vorstellung, dass man dann um die Kurve kommt und tatsächlich die Schranke zu ist, hat mich einige Mal sehr begeistert. Das Wort macht das richtige Geräusch dazu: „bom!“.

Und Tunnel heißen „Tunnelen“, wie die südtiroler Verniedlichung und ich musste noch lange lachen, nachdem ich aus dem „Tussentunnelen“ herausgekommen bin.

Zu Wohnmobilen (oder Wohnwagen) ist mir etwas klar geworden: Es ist gar nicht so sehr das Problem, dass diese Dinger meistens von Menschen bewegt werden, die das ganz offensichtlich nicht können, auch nicht, dass sie oft entschieden zu langsam bewegt werden, die mich stört – es ist die bloße Tatsache, dass man – egal ob fahrend oder stehend – plötzlich vor (oder in Fahrtrichtung gedacht eben hinter) einer weißen Wand ist. Wenn ich fahre, wenn ich reise, will ich etwas von der Welt sehen. Wenn ich auf einer schmalen Straße, auf der ich nicht überholen kann, 20 Kilometer hinter einem Wohnmobil herfahren muss, dann sehe ich 20 Kilometer eine weiße Wand vor mir. Wenn ich auf dem Panoramazeltplatz bin, will ich aus dem Zelt heraus etwas – ein kleinwenig zumindest – Panorama sehen. Stattdessen sehe ich im Regelfall eine geschlossene weiße Wagenburg – meist von Menschen gebaut, denen es sehr wichtig ist, dass sie nach vorne oder unter ihrer Markise heraus das Panorama sehen können. Jetzt weiß ich immerhin, was mich so stört (ja, das hat mich beschäftigt, denn wenn einen etwas immer wieder nervt, ist es ja nicht schlecht, wenn man genauer weiß, was und warum…) – und weil man hier nicht schnell fahren darf, habe ich eine neue Strategie entwickelt: Wenn vor mir ein Wohnmobil fährt und mich nervt, dann halte ich an, mache 10 Minuten Pause und denke mir ganz dem norwegischen Geist entsprechend: løsse faere.. oder so ähnlich und: jordbær essen.

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