Leaving Norway

Mittags auf der Fähre

Es geht seit Tagen südwärts, jetzt auf der „Speedcat“, einem schnellen Fährkatamaran von Kristiansand nach Hirtshals. Die Fährgesellschaft hat mich – wohl wegen der späten Buchung – dazu gezwungen, dass ich einen Platz in der Comfortclass nehme. Jetzt sitze ich hier oben, habe einen Tisch, Klimanlage, schaue auf den Pöbel in den unteren Rängen und lache mich heimlich kaputt, weil hier oben alle recht ordentlich sind, ich in voller Motorradmontur und nicht wirklich hier her passe.

So schaue ich auf die letzten Landzipfel Norwegens, die ich hinter mir lasse.

Ich bin nicht wehmütig, sondern ausschließlich voller Vorfreude auf zuhause. Ich kann das ganz offen und ehrlich sagen: so sehr habe ich mich schon ganz lange nicht mehr aufs Heimkommen gefreut. Mir ist gestern Abend vor dem Schlafen noch einmal bewusst geworden, wie unglaublich viel ich in den letzten Wochen erlebt und gesehen habe, wie oft ich mich überwunden habe, wie oft ich voller Erstaunen war. Ein bißchen hat sich meine Haltung Menschen gegenüber verändert. Ich habe auf der gesamten Reise bisher ausschließlich freundliche und hilfsbereite Menschen kennengelernt – es gab keinen einzigen Moment, in dem ich mich richtig schlimm über jemanden geärgert habe. Selbst der Lette, der mich fast gerammt hat, ist durch den netten Norweger sofort ausgeglichen worden, der neben mir stand und mit mir Angst hatte. Ich habe mich die ganze Reise über sicher und frei gefühlt – und mit Menschen zu reden, was ich in Urlauben sonst ja sehr vermeide, war mir gelegentlich sogar eine kleine Freude.

Abends bei Flensburg 

In Dänemark scheint die Sonne, es ist verdammt windig, die Felder liegen auf sanften Hügeln, es hat schönes Licht. Ich finde den Wind eklig, fühle mich ab der ersten Minute auf der Autobahn unwohl und entscheide, dass ich dieses Land diesmal nicht näher betrachten möchte. Ich fahre kurzerhand mit zweimal Tanken durch. Unterwegs überhole ich die Kawasaki-Veteranen wieder, die ich auf der Fähre getroffen habe: Einer erzählte, dass er ‘62 mit einer NSU in Norwegen war, nur Schotter, manchmal Jugendherbergen. Jetzt töffeln die drei zurück nach Holstein, wollen nicht zu früh heim, die Frauen könnten ja noch den Gasmann oder Kaminkehrer zu Besuch haben, meinte einer. Außerdem in einem Tag durch ganz Dänemark, das könnte ja noch in Stress ausarten. Und jetzt, wo sie keine Chefs mehr haben, wer will da schon Stress. Lieber zwei Hotdogs am Kiosk und Kaffee. Und wenn sie jetzt noch Wurstwasser trinken, dann bin ich mitten im Werner-Comic angekommen. Das muss kesseln.

Die Fahrt war wirklich anstrengend, der Wind hat mich manchmal um eine halbe Spur zur Seite versetzt, mir manchmal wie einen rechten Haken an den Helm geboxt. Ich habe ihm gesagt, dass ich bei 3 Grad am Nordkapp war, er kann mich nicht aufhalten. Irgendwann hat er es eingesehen. Also eigentlich nicht, ich habe ihn nur immer besser ins Fahren integriert. Bei Flensburg finde ich einen Campingplatz, der noch auf hat, teile mir die Wiese mit Franzosen und Italienern, die offenbar in den Norden wollen. Ich beglückwünsche sie alle – der Norden, das steht fest, ist unbedingt eine gute Entscheidung. Nur wenn der Bubi mit Freundin auf der nagelneuen KTM mit Vollausstattung jetzt dann nicht sein italienisches Streamingfernsehen im Zelt leiser macht, dann lernt er gleich mal die richtigen Vikingersitten kennen. Oder halt: Ich esse noch jordbær – verdammt, habe ich nicht. Dann eben was aus dem Flachmann und Ohrstöpsel.

Ich habe mich lange nicht mehr so über einen Grenzübertritt gefreut wie heute.

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