Perfect Day

Morgens bekräftige ich die Entscheidung: Ich fühle nicht mehr aufnahmefähig, habe so viel gesehen und erlebt und will mir noch etwas für den nächsten Norwegenbesuch aufheben. Ich ändere also leicht die Route, lasse Stavanger und diesen Teil der Küste aus, buche eine Fähre und setze am Sonntag spätnachmittags nach Dänemark über. Das hat Norwegen mitbekommen und sich gedacht: “Dem zeige ich heute nochmal, was ich kann, der kommt nach diesem Tag bestimmt wieder.” Tut er, versprochen.

Bei 11 Grad und tiefen Wolken geht es los, nicht weit, dann komme ich an zwei Stellen zu Ausläufern des größten Inlandsgletschers Europas, des Jostedal-Gletschers.

Unglaubliches Eisblau schiebt sich über die Bergkanten.

Die Klimasensibilität der Gletscher ist sehr hoch, wäre es im Schnitt nur ein Grad kälter, dann gäbe es die Landstraße dorthin nur noch unter einer dicken Eisschicht. Hunderte Meter Eis mehr wären das.

Die Wolkendecke reißt auf, ich komme zu meiner letzten Fjordfähre. Beim Anstehen habe ich beinahe einen Unfall. Ich stehe hinter einem Sprinter aus Lettland, der plötzlich – ohne Fenster hinten – den Rückwärtsgang einlegt und zurücksetzt um auszuscheren. Dem Fahrkartenmann und mir fällt das Lachen aus dem Gesicht, wir rufen, er hört nichts, hält trotzdem und aus purem Glück 5 cm vor meinem Vorderrad an. Knappe Sache.

Ich schlage vor, dass er mich auf den Schreck hin auf die Fährfahrt einladen könnte – er versteht leider ganz schlecht Englisch.

Drüben dann hat es knapp 25 Grad und ich komme kurz nach der Fähre zur Stabkirche von Hopperstad, die rund 900 Jahre alt ist und überraschend gut riecht, auch nach Weihrauch natürlich, aber mit Holzaromen auf der Zunge und etwas blumig im Abgang.

Die Straße ist leer, wird zum vollwertigen Pass, das Motorrad läuft und ich fliege vorbei an Fjorden und Hochebenen und Eis, Schnee und gleich danach an Apfelbäumen und Erdbeerfeldern. Wie das nur alles mit so geringem Abstand möglich ist?

Am Supermarkt der Tip eines netten Herren: Die nächste eigentlich geplante Fähre gibt es nicht mehr, dafür geht es in einen 7Km-Tunnel, darin durch einen Kreisverkehr, rechts, gleich über eine 1500-Meter-Fjordbrücke, dann gleich wieder in einen Tunnel, dort im Kreisverkehr geradeaus und runter am Sørfjorden vorbei. Hätte ich nie gefunden. Ich knacke die magischen 44444 auf dem Kilometerzähler, komme zu einem Wasserfall,

dann noch ein Pass, runter ins Tal zum Zeltplatz – als wäre man nur ums Eck in Südtirol.

Mehr landschaftliche Schönheit, Abwechslung, grandiose Motorradstrecken, Schafe am Wegrand, Tankstellen in der richtigen Minute, Eiskaffee und Sonnenscheinfreude an einem Tag kann ich mir gar nicht vorstellen. Danke, du großartiger Tag!

Ps. Es ist 23 Uhr und es dämmert zwar etwas, aber ich sitze im Hellen vor dem Zelt. Nur kalt wird es langsam.

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