Fahrbericht: Yamaha Tenere 700 World Raid (2023)

Ein Freund hat am Maxelride Motofestival eine Tenere getestet, war schwer begeistert und weil mir die auch schon lange durch den Kopf geht (Weniger ist mehr!?), habe ich kurzerhand einen Termin bei Kawamotor Motorradvertrieb GmbH in Garching Hochbrück gemacht. Ich wollte die ‘normale’ Tenere fahren, die mit 87,5 cm Sitzhöhe eigentlich schon zu hoch für mich ist, Daniel (ein anderer Daniel, nicht der von Ducati) hatte nur eine World Raid da, die mit größerem Tank und besserem Fahrwerk ausgestattet und nochmal 2 cm höher ist – jeder Ampelstopp wurde zur Ballettstunde, jedes Aufsteigen zur Kletterpartie…

Vor dem riesigen Laden stehen zu meiner Überraschung auch noch einige Husqvarnas auf dem Hof – und tatsächlich sind sie auch Händler dafür. „Willste die Norden auch probieren? Dann mach ich sie dir fertig, während Du mit der T700 unterwegs bist“ Das ist ein Wort. Einige Plauderei im Laden, dort steht Daniels T700, die er nach der Bosnien-Rallye ungeputzt als Anschauungsobjekt in den Laden gestellt hat. Er schwärmt von der Zuverlässigkeit, Laufruhe, Sicherheit, die das Motorrad gerade auch im Gelände ausstrahlt. Jaja, er ist auch Verkäufer, denke ich mir und– weil sie mir doch immer so gut gefallen hat – drehe das Gespräch immer wieder auch auf die Husqi. Er beißt nicht an: Die habe für Offroad schon fast wieder zu viel Punch, will mehr Drehzahl, ist nicht so verzeihend, käme halt doch mehr von KTM – Donnerwetter, denke ich mir, er könnte ja damit ein paar Tausend Euro mehr verdienen, aber er bleibt dabei.

Wie lange die Probefahrt sein dürfe, frage ich noch, und wie es mit Tanken bei ihnen sei? „Mach einfach, ob Du eine oder zwei Stunden brauchst, ist egal und Tanken – vergiss es, die braucht ja nix.“ Das sind Sätze, die ich mir von BMW bei einer Probefahrt auch mal wünschen würde.

Also los, über Landstraßen und ein Stück Autobahn raus ins Grüne hinter Eching. Wenn man mit einer 1250GS zum Händler gefahren ist und auf die Tenere umsteigt, dann ist der erste Unterschied, der einem zwangsläufig auffällt, der Motor: 689 Kubik, 73,4 PS (da ist Yamaha genau) und 68 Nm – das ist in jeder Hinsicht fast die Hälfte der GS. Aber sie wiegt vollgetankt auch viel weniger. Die ‚normale‘ Tenere kommt auf 205 Kg fahrfertig, das sind über 50 Kilo weniger als die GS, die World Raid, die ich probiere, geht auf 220Kg, aber das sind immer noch Welten. Klar, vergleichbaren Druck beim Beschleunigen hat sie nicht, aber das ist schnell egal. Denn der Motor hat insgesamt eine so angenehme Charakteristik, dreht so schön linear hoch, lässt sich großartig untertourig fahren, fährt im 6. Gang mit 50 klaglos durchs Dorf, lässt sich im Schritttempo ruckelfrei ohne Kupplung fahren. Das ist schon ein tolles Aggregat, das in seinen Dimensionen sehr souverän ist.

Das Fahrwerk gefällt mir auch sehr gut – klar, es ist eine Enduro, die etwas weicher ist, die beim harten Anbremsen auch ordentlich einfedert, aber das ist in jeder Hinsicht Einstellungssache. Ich suche mir ein paar Parkplätze und schnell traue ich mich mit ihr auch im Stehen enge Kreise am Lenkeranschlag zu. Langsam kann sie wirklich sehr gut. Sie ist – das kann ich schon mal sagen – auch im Vergleich zur Ducati oder Husqi am weitesten weg vom Langstrecken-Tourendampfer GS. Ach, die Ergonomie: Ich finde den Sitz erstaunlich bequem, der Windschutz ist auch gut – zumindest bis 120 oder so, darüber macht sie keinen Spaß.

Sie entschleunigt, will die Welt in Ruhe erfahren und sie will definitv auf die TETs und ACTs und in unserer Ecke der Welt weg von Autobahn und Bundesstraße. Wenn ich etwas suche, womit ich nochmal nach Skandinavien und dort nochmal ganz in den Norden – aber nur auf Schotter – will, dann habe ich es gefunden. Aber sie ist definitiv nur etwas für eine Person und für ein spezifisches Reiseprofil. Sie ist eher schon Spezialistin als Generalistin – ich bin noch nicht soweit, dass ich dafür die GS (oder ein vergleichbares Motorrad) ganz abgeben würde. Daniel lacht darüber und erzählt, dass sie früher immer die älteren Kunden an BMW verloren haben, dass die seit der Tenere gerne wieder kommen und sich viele die T700 als Zweitmoped neben die GS stellen und beim 10.000er Kundendienst fragt er die Leute nach der GS und 80% sagen: „Die habe ich schon längst verkauft.“ Mir fällt ein, dass es meinem schwedischen Lieblings Motorradvlogger Nomad Sweden auch so gegangen ist. Ich bin mal gespannt.

Ach, übers Aussehen muss ich noch sprechen: Die blaue World Raid gefällt mir gar nicht, der bullige Tank hat zwar Reichweitenvorteile, das Benzin wird tief transportiert (Schwerpunkt), aber sie ist mir zu bullig und zu blau. Die ‚normale‘ gibt es 2023 auch in grau, Dekore gibt es massenweise. Die ´23er hat zudem eine Quickshifter-Option, mehr ABS-Funktionen und ein TFT. Elektronisch hat sie sonst nichts – aber das braucht sie auch nicht, sie will ja einfach sein, einfach zu fahren, zu pflegen, zu reparieren. Nur dass sie (weil noch traditionell mit Gasseil) keinen Tempomaten hat, ist ein echtes (aber natürlich erwartbares) Manko. Denn das ist neben Quickshifter und Griffheizung das dritte Luxusfeature, an das ich mich sehr gewöhnt habe.

Oh, und mir fällt noch etwas ein: Kürzlich war ich bei Touratech in München und vor dem Laden stand eine komplett aufgepackte T700 mit massig Zubehör dran. Der Fahrer gerade im Rentenalter. Er testet das Motorrad jetzt für 2 Monate in Skandinavien und nächstes Jahr geht es damit für ein Jahr nach Südamerika. Das klingt nach einem guten Plan. Und vielleicht habe ich mit der T700 auch mein neues Spielzeug gefunden?

Ich steige erstmal noch auf die Husqvarna…

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