Fahrbericht Ducati Desert X (2023)

Die BMW 1250 GS hat mich dieses Jahr (2023) großartig durch Schweden begleitet, sie ist zuverlässig, souverän – naja, dazu ist ja wirklich schon alles gesagt, ein bißchen was auch schon von mir. Sie ist wie ein richtig dickes schweizer Taschenmesser: man hat für alle Situationen das richtige Werkzeug. Und genau das beschreibt auch meine aktuelle Verbindung zu ihr: funktional ist sie großartig und ich hab sehr viel Vertrauen in ihre Souveränität. Man macht wirklich nichts falsch damit. Aber sie ist auch wuchtig, in bestimmten Situationen zu schwer und wenn wir über Emotionen sprechen wollen… naja, sie ist eben wie ein schweizer Taschenmesser.

Ich weiß noch nicht, ob ich sie behalten will. Und deshalb mache ich mal wieder ein paar Probefahrten mit anderen Motorrädern – um zu sehen, was es noch gibt und ob mich etwas emotional anspricht.

Und was könnte dafür ein besserer Auftakt sein als eine Ducati? Schon alleine der Motor: ein Testastretta! Klingt schon nach Bella Italia. Aber doch noch einen Schritt zurück: Es soll eine Reiseenduro bleiben, aber ich will eher in das mittlerer Segment – das heißt einige Kilo leichter (ca. 200 kg), echte Enduro-Dimensionen mit 21 Zoll Vorderrad und 18 Zoll Hinterrad, guter Federung und gerne um die 100 PS. Ducati hat in dieser Klasse vor 2 Jahren die Desert X herausgebracht und die erfüllt das alles – und sie sieht wirklich toll aus. Deshalb habe ich heute bei Ducati München eine schöne zweistündige Probefahrt gemacht. Und was für ein Glück, dass ich zu Ducati sogar zu Fuß gehen kann. Eine kurze Einweisung von Daniel und dann vorsichtig zuhause vorbeirollern – den anderen gefällt sie schon auch gut, glaube ich. Ich finde sie wunderschön!

Ich fahre raus auf die Autobahn in Richtung Ammersee, wow, das Ding ist giftig und will fliegen. Sie will konsequent einen Gang niedriger gefahren werden, als ich das von der GS gewohnt bin, braucht natürlich mehr Drehzahl, aber ich komme zurecht damit, würge sie nie ab. Der Quickshifter nimmt die Gänge gut und flott an, wobei ich die richtige Drehzahl beim Schalten vom 1. in den 2. Gang noch nicht gefunden habe, da ruckelt es noch. Das Motorrad hat Vollausstattung mit Tempomat, Lichtautomatik, eigentlich auch Blinkerrückstellung, nur geht die bei mir nicht. Sie hat natürlich einen Kettenantrieb, was für mich immer ungewohnt klingt.

Der Motor faucht, im Sportmodus grollt und bellt er sogar und wenn man am Gas reißt, dann beißt er auch richtig zu. 110 PS aus 927 Kubik bei 202 kg trocken und 92 NM sind ganz schön druckvoll. Klar, die GS hat noch mehr Wumms, aber die Duc ist quirliger und spritziger.

Ich fühle mich sehr gut in das Motorrad integriert, die Sitzbank ist hart, aber nicht unbequem, um die Füße auf den Boden zu bringen, ist alles zu hoch für mich, ich müsste das mit niedriger Bank oder sogar mit Tieferlegung versuchen. Beim Fahren ist bis 140 km/h alles sehr gut, auch der Windschutz passt gleich gut für mich, für Nordreisen würde ich vielleicht trotzdem ein hohes Tourenschild nehmen. Aber – auf der Rückfahrt getestet – im Bereich über 150 wird’s eher ungemütlich. Da ist sie einfach mehr Enduro als Reisedampfer. Klar sind auch auf der GS 160-170km/h schnell, aber man kann das vielleicht doch entspannter fahren.

Die Bremsen sind bei vorsichtiger Vollbremsung kompromisslos, zeigen sich in der Fahrt kraftvoll, aber gut dosierbar. Die Laufraddimensionen brauchen im Landstraßenbetrieb etwas mehr Lenkimpuls als die kleineren GS-Räder. Nach ein paar Minuten merke ich keinen Unterschied mehr. Die Federung ist straff abgestimmt – als Telelever-Fahrer irritiert es mich immer, wenn beim scharfen Anbremsen die Gabel eintaucht, was bei den Federwegen einer Enduro natürlich so sein muss. Das ist alles sehr gut beherrschbar und ich muss mich immer wieder einfangen, damit ich nicht zu schnell über die Landstraße brettere.

Ich komme raus an den Ammersee, bin bei Andechs und mache kurz eine Pause um alles mal sacken zu lassen. Was stört mich? Eigentlich nur zwei Dinge:
1. Der Motor entwickelt viel Hitze und ich denke kurz, ich hab eine heimliche Sitzheitzungsfunktion aktiviert. Es wird richtig warm an den Beinen und im Schritt. Bei 25 Grad Außentemperatur ist das nicht sehr angenehm. Daniel sagt mir später, dass das bei allen Ducatis so ist. Das liegt an der Konstruktion und wie der Testastretta-Motor im Rahmen hängt. Ok. Muss man wissen und überlegen, ob es einen dauerhaft stört.
2. Der Sitz passt nicht zu meinen Rückenschmerzen. Nach 2 Stunden habe ich nicht das Gefühl, dass ich 8, 9, 10-stündige Tage darauf abspulen wollen würde. Vielleicht Gewohnheitssache, vielleicht ein paar ergonomische Anpassungen?

In einem Interview habe ich neulich gehört, dass jemand meinte, die Desert X wäre das richtige Motorrad für die sportliche Runde, den intensiven Tagesausflug. Für die Reise würde er aber lieber die Africa-Twin von Honda nehmen, wenn man im Mittelklassesegment bleiben will. Aber die ist auch wieder so ein Universalwerkzeug. Dann vielleicht doch die GS und mehr damit üben?
Emotional hat sie mich erreicht, die Desert X, aber ob ich mir mit ihr eine stabile Beziehung für tausende Kilometer vorstellen kann? Der Haben-wollen-Reflex ist schon groß und sie würde mir bestimmt Spaß machen. Wenn ich aber an 1000 Km nach und 3000 Km durch Schweden denke, dann müsste ich sie vorher vielleicht erst noch besser kennenlernen. Es wird kein Spontankauf, aber es kann gut sein, dass ich nochmal auf sie zurückkomme – dann muss ich sie mir aber vielleicht mal für ein langes Wochenende ausleihen und nach Südtirol oder so ausfahren.

Morgen gehe ich noch tiefer ins Endurosegment, teste die Yamaha Tenere 700, die nur 75PS aus 689 Kubik mit 68 NM schafft, aber sie ist eben auch nur 205 Kilo schwer – vollgetankt und fahrfertig, was sicher nochmal 20 kg weniger als die Duc sind. Ich bin gespannt. Vielleicht muss ich – nur um das einfach mal alles selbst erfahren zu haben – dann doch auch noch die Honda Africa Twin, die Husqvarna Norden 901 und nur aus Stilgründen die Triumph Tiger 900 Rally pro probieren. Und solange vertraue ich weiter auf mein souveränes schweizer Taschenmesser, die GS…

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