Fahrbericht BMW R1250GS (40-Years-Edition 2021)

Nachdem ich im Frühjahr im strömenden Regen die F850GS bei der BMW-Niederlassung am Frankfurter Ring in München getestet habe, bin ich heute dann wieder mal quer durch die Stadt zu diesem Glaspalast gefahren. Alles wie gewohnt: freundlich, professionell, unaufdringlich – der Harley-Coolness-Faktor fehlt vielleicht auch den MitarbeiterInnen etwas, aber ich will ja keine Filiale, sondern ein Motorrad kaufen… Übrigens, weil ich den Vergleich gerade gemacht habe: Harley zahlt seinen Probefahrern das Benzin, gibt ihnen dafür nur eine Stunde, BMW gibt zwei Stunden, dafür weiß man nachher auch, wie der Tankdeckel aufgeht.

Nachdem ich bereits bei der 850er eine Einführung in die ganzen wesentlichen Helferlein bekommen habe (Fahrmodus etc.) geht es diesmal schneller mit der Einweisung. Draufsitzen, anlassen… Autsch – es ist ein Akrapovic installiert und ich weiß sofort, dass dieser Auspuff nicht in Frage kommt. Er wäre mir für meine Verwendungszwecke – lange Touren durch abgelegene Ecken – einfach zu laut und bleibt das auch die gesamte Probefahrt über. Ich finde auch nicht, dass das sportlich klingt, eher pöbelig pubertär. Aber da würde sich eine Lösung finden lassen.

Aber das war es auch schon mit der Kritik, zumindest mit der größeren. Gut, zu diesem Motorrad ist ja auch wirklich schon alles gesagt und geschrieben worden, deshalb hier etwas unsystematisch nur meine ganz persönlichen Punkte. Erstens: der Fahrmodus “Dynamic”. Sicher, man kann “Eco” und “Rain” in vielen Situationen bestimmt brauchen und “Road” ist für die meisten Dinge ausreichend und fein dosierbar usw. Aber im “Dynamic” reißt das Motorrad einfach fantastisch an. Was mich gleich zum zweiten Punkt bringt: dem Motor. Ich kenne alte 2V-Boxer, den 4V-Boxer von der Modellüberarbeitung 2009 (MÜ) und den DOHC von 2010. Und jetzt ist das der erste ‘neue’ wassergekühlte Boxer, den ich fahre, und vor allem der erste mit “ShiftCam”. Meine 2009er MÜ klingt immer ein wenig nach Traktor – ich mag das auch meistens. Aber dieser “ShiftCam” läuft seidenweich, ist viel drehfreudiger und hat immerimmerimmer – hab ich schon gesagt: immer? – er hat immer Druck.

Er ist ein technisch hochgezüchtetes Meisterwerk und deshalb – das ist vielleicht die Schattenseite – lange nicht mehr so charakterstark wie alte Boxer-Motoren; und auch nicht so, wie beispielsweise der V2 in der Harley Pan Am. Aber er ist schlicht und ergreifend brilliant und souverän. Was mich zum dritten Punkt bringt. Etwas rotzig gesagt: Dieses Motorrad trieft vor Souveränität: Handling, Fahrwerk, Bremsen, Motor – jederzeit bin ich voll integriert, fühle mich, als würde ich immer schon dieses Motorrad fahren. Ok, der Umstieg von GS alt zu GS neu ist ja auch kein grundsätzlicher Wechsel des Motrradtyps. Dieses Motorrad kann alles, was meines kann, nur eben viel besser. Alles, was ich mache, geht sehr einfach, ich habe vollstes Vertrauen, drehe das Gas auf der Autobahn auch bis 200 auf, steig voll in die Eisen, fahre Slalom zügig und im Schritttempo. Wenn ich meine alte GS mit einer Hand dirigieren kann, geht es bei dieser hier mit einem Finger. Jetzt etwas Wasser in den Wein: das Getriebe ist eben ein BMW-Getriebe; muss man mögen und muss man können. Das geht auch weicher (auch der Quickshifter), aber mich stört das nicht. Der vielbeschworene japanische Blinkerschalter ist beim ersten mal Fahren ärgerlich, aber ich bin sicher, man gewöhnt sich daran. Und die Sitzbank… Ich hatte als Kurzbeiniger eine niedrige Sitzbank mit Sitzheizung bekommen und nach 2 Stunden spüre ich meinen Hintern. Da gibt es sicher bessere Alternativen im Zubehörhandel oder beim Sattler meines Vertrauens. Ich fahre auf der aktuellen Maschine eine Kahedo von Touratech und bin vermutlich verwöhnt. Und wann ich eine Sitzheizung brauche…? Das Norkapp bei 3 Grad ging auch gut ohne.

So, jetzt noch zwei abschließende Punkte: das Aussehen und die entscheidende Frage, ob ich diese GS kaufen will. Ich habe die 40-Years-Edition ausprobiert, weil ich das alte Design mit Schwarz und Gelb immer schon mochte. Diese 719er-Ausstattung mit den Frästeilen finde ich weitgehend albern. Ich hätte sie zum Beispiel gerne ohne diese übertriebenen, gefrästen und verspielten Zylinderdeckel. Einfache schwarze Deckel würden mir reichen. Sonst gefällt mir diese GS sehr gut. Man liest oft, sie sei zerklüftet. Ich finde sie kompakt und schaue sie rundum gerne an. Schön finde ich das ganz kleine gelbe Schild und die gelb-schwarze Rallye-Bank, das an dieser hier nicht angebaut ist. Vermutlich weil beides im Tourenbetrieb eher unpraktisch ist… Ich würde es vermutlich trotzdem mit dazu nehmen. Schade finde ich, dass BMW die Stürzbügel und die Alukofferhalterungen nicht schwarz gepulvert oder lackiert anbietet. Das würde ich vermutlich machen lassen. Und dann schwarze Alukoffer oder Softbags à la MoskoMoto oder so ähnlich montieren. Man merkt schon, ich bin schon in der Feinplanung und es klingt so, als ginge es nicht mehr um die Frage, ob ich das Motorrad kaufe, sondern nur noch um das wann und mit welchen Extras.

Mein Fazit: Ich habe dieses Motorrad nun seit letztem Herbst immer wieder beim Händler besucht und habe mir die Probefahrt für einen besonderen Moment aufgehoben. Jetzt war es soweit und ich bin rundum begeistert. Das – so kann ich mir heute gut vorstellen – könnte mein neues Motorrad werden. Nur, ob ich es noch neu bestelle oder auf eine junge Gebrauchte oder auf eine Vorführmaschine warte, das weiß ich noch nicht. Haben will ich sie…

Ach so, ein Nachtrag: Ich habe die Probefahrt mit einem Freund gemacht, der zugleich die 40-Years-Edition der 1250 Adventure ausprobiert hat. Die Adventure ist und bleibt mir einfach zu wuchtig, zu groß, zu hoch… Ich bin sie auch ein paar Kilometer gefahren. Im Fahren ist sie super, aber ich habe das Gefühl, dass die ‘Normale’ sogar noch etwas agiler ist. Falls sich jemand also wundert, dass auf den Bildern teilweise beide Modelle zu sehen sind – das ist der Grund.

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