Hell, es ist und bleibt… hell.

Sonntag, 16.6. morgens

Dass ich meine Handschuhe verloren habe, hat mich die ganze Nacht gewurmt. Ich habe bis heute einen sehr kindlichen Blick auf den Norden: Wildnis und Kälte und dicke Felljacken und so. Da wirken verlorene Unterziehhandschuhe in den Träumen schon mal wie ein schlechtes Omen. Sind sie natürlich nicht. Trotzdem: Ich habe nicht gut geschlafen, bin alle 2 Stunden aufgewacht, wohl weil es hell war, wirklich helllichter Tag um 3 Uhr morgens, um 4, um 5, um 6… Ich musste mich immer nach Blick auf die Uhr wieder zum Einschlafen zwingen. Das ist schon eine krasse Umstellung, weil mein Organismus bei Licht einfach loslaufen will. Mal sehen, wie das die nächsten Tage wird. 

Ein kleiner Nachtrag zu gestern, weil ich es doch witzig fand, aber keine Lust mehr hatte, das noch zu schreiben: Die gelbe Holzkirche auf dem Foto gestern ist übrigens die größte der Welt. Es passen rund 3.500 Leute hinein. Nun könnte man sich fragen, warum der kleine Ort Kerimäki, in dem gefühlt nicht mehr als 500 Leute wohnen, eine so große Kirche braucht. Die Kirche wurde zwischen 1844 und 47 von Bauern gebaut, gestiftet wurde sie von einem Finnen, der nach USA ausgewandert war. Der hatte die Baupläne geschickt und die Bauern haben sie gebaut, nur hatte er die Kirche in Fuß geplant und die Bauern haben sie in Metern gebaut. Darum ist sie – wenn ich mich nicht irre (Grüße an Sam Hawkins) – um den Faktor 3 zu groß.

Jetzt also packen und los. Heute ist ein Tag, an dem ich ohne Eile und sehr ruhig reisen muss. Ein paar Teile von mir müssen offenbar erst noch in Finnland ankommen.

Sonntag abends um 22 Uhr kurz hinter Kuusamo

Nein, der Tag war nicht schlimm. Eigentlich war er (bisher) das Gegenteil von schlimm. Kurz vor Nurmes habe ich einen Supermarkt gefunden, der ganz nach meinem Geschmack war: Die hatten alles, auch eine grüne Mütze, die der zum Verwechseln ähnlich ist, die ich offenbar auch schon verloren habe, und sogar Unterziehhandschuhe. Dabei habe ich die heute gar nicht gebraucht, denn draußen hatte es 25 Grad und strahlenden Sonnenschein. Wenn es nur einen Hochsommertag in Finnland im Jahr gibt, der muss es gewesen sein. Das böse Traum-Omen war erledigt, der Tank war voll, da waren gut 400 Km gar nicht schlimm anstrengend. Zwischendurch hat sich die Landschaft ganz grundlegend geändert: Es gab ein Waldstück, in dem zwischen den Bäumen kleine weiße Blümchen standen. Und dann kam ein See, ein Wald, ein See mit Wald, ein Wald im Wald vor einem See, dahinter ein Wald. Zum Fahren ist es recht anspruchsvoll, weil man nie weiß, wie lange am Stück man schlafen darf. Habe heute wieder mal bei Eiräki Hiresmääki nachgelesen. Er schreibt: „Finnland hat die Farben Weiß und Blau, das steht für Schnee und Wasser. Eine Farbe fehlt, an der mancher Finne leidet wie am langen Winter: die Farbe Grün. Mein bester Freund seit Kindertagen Äänikken ist heute einer der nackten Waldarbeiter. Er spricht nie vom Sommer, sondern von der grünen Hölle. Ich habe – das ist hinlänglich bekannt – wegen der grünen Hölle für viele Jahre das Land verlassen. Aber ach, ohne Finnland weinte mir das Herz.“ Dann kam er offenbar wieder zurück. Jedenfalls: Es ist wirklich ein wenig fad immer zwischen grünen  Bäumen durch den grünen Wald zu fahren – und die nackten Waldarbeiter scheint es auch nicht mehr zu geben.

Zum Glück gibt es schöne Abwechslungen: 

Ein Pausensee,

Rentiere,

ein Feld voller bekleideter Vogelscheuchen namens „das stille Volk“ (ich hab‘s nicht verstanden, irgendwas mit Weltfrieden, glaube ich),

ein Zeltplatzbesitzer, der Kugelschreiber sammelt und jedem eine – möglichst große – Hütte auf Deutsch, Englisch und Finnisch gleichzeitig vermieten will,

ein Zeltplatzsee (mit Gratismücken)

und – rund 200Km unter dem Polarkreis um 22 Uhr bei knapp 20 Grad: eine Sonne, die bleiben will.

Das war definitiv einer der guten Tage, egal was da noch kommt. Zur Feier des Tages werde ich jetzt noch den Nachbarshund anbellen. Die Leute mögen mich eh nicht – die Frau schaut immer ganz böse zu mir. Vermutlich habe ich ein altfinnisches Gesetz gebrochen, stehe zu nahe am Wasser und das steht mir der Touristenrangordnung nach noch nicht zu. Oder ich missverstehe das und das ist finnische Freundlichkeit?? Egal: Grrrrrrrrr…. Wau! Wau! Wau!

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