Probefahrt Harley Davidson Pan America 1250 Special

Im zweiten Anlauf hat heute meine Probefahrt der Pan Am geklappt, nachdem der erste Versuch an einer Gewitterfront und Hagelschlag gescheitert ist. Zum House of Flames in München Ost – für einen BMW Reiseenduristen eine neue Erfahrung. Weniger der adrette Poloshirtträger als Verkäufer, mehr coole Buben in schwarzen T-Shirts und Lederwesten. Im Stadler-Dress mit Endurohelm fällt man dort auf, man beschnuppert sich freundlich, muss ja nicht kuscheln, hat ein gemeinsames Interesse: die Pan Am. Auch auf den zweiten Blick: Die Front ist gewöhnungsbedürftig, sieht aber im echten Leben besser als auf den Fotos aus. Sie wird oft von unten fotografiert, in echt ist der ‘Enterprise-Effekt’ nicht so stark, wenn man vor ihr steht. Sie baut vorne insgesamt etwas breit, wird dahinter dafür schlanker, die Formensprache mutet athletisch an.

Die Einweisung: Ich muss für eine Probefahrt von einer Stunde nicht jedes Knöpfchen kennen. Dass sie viel Bluetooth, Navi etc. kann, hab ich gelesen, das interessiert mich erst später. Ich will sie fahren. Starter, Mode-Knopf, Blinker – mehr muss ich nicht wissen. Ich bekomme sie trotz 30 Grad und Sonne erstmal im Rain-Modus, was mir nicht unrecht ist. Aufsteigen, die Lederwesten gucken mir zu, Motor starten: Ok, klingt beeindruckend, ist charakterstark, im Leerlauf dennoch nicht aufdringlich. Ich hab einen Standardauspuff dran, der Klang würde mir reichen. Ich fahre gerne lange Strecken und in eher abgelegene Gegenden, ich mag keinen aufdringlichen Krach.

Langsam rolle ich vom Hof, muss durch den Berufsverkehr auf die Autobahn. Einiger Stop and Go: Ich bin 1,78 mit kurzen Beinen und an der Ampel und im Stau stehe ich gut, nicht ganz satt mit beiden Sohlen, aber sicher. Das Absenken des Adaptive-Ride-Height-Systems kann man schon wahrnehmen, es ist nicht unangenehm, das Hochfahren beim Anfahren merke ich nicht. Das ist ein sehr cooles Feature für Kurzbeinige – an der Ampel bräuchte ich es nicht, aber beim Rangieren ist es super.

Was mir rasch auffällt: Sie will mit etwas Nachdruck um enge Kurven geführt werden. Längerer Radstand, längerer Nachlauf? Muss ich mal nachsehen. Es stört nicht, aber es fällt mir auf, weil meine GS auf Pirelli Scorpion Rally STR im gleichen Berufsverkehr 10 Minuten vorher deutlich dringender um die Ecken wollte. Ich sitze gut, die Federung ist straff, der Sitz auch – ist bequem und bleibt das vermutlich auch auf längeren Strecken. Kniewinkel passt. Die Ergonometrie stimmt weitgehend, ich bräuchte vielleicht einen anderen Lenker oder eine Lenkererhöhung, sitze gerne noch eine kleine Spur aufrechter. Vor allem fällt mir das später beim Stehendfahren auf, da ist mir der Lenker ein ganzes Stück zu niedrig. Womit ich spontan nicht zurecht komme (und zwar bis zum Schluss) ist der Blinkerschalter, genauer die Position des Schalters, der für meine Griffposition zu weit innen am Lenker liegt. Vielleicht habe ich zu kurze Daumen? Aber an sowas kann man sich gewöhnen.

Also auf die Autobahn, die zuerst auf 120 gedeckelt ist. Ich nehme den Road-Modus. Ok, da geht deutlich mehr, 140 müssen es aber nicht sein, ein Ticket bei der Probefahrt kommt nicht so gut. Raus auf die Landstraße, Sportmodus an. Von der Ampel weg hochbeschleunigen. Mir zieht es das Grinsen über das ganze Gesicht. Der Motor macht richtig Laune, wird nie unangenehm laut (ich habe nicht mal Ohrstöpsel unter dem Helm). Die Beschleunigung, der Durchzug, das alles ist wirklich grandios. Ich hab gelesen, dass man sich als Boxer-Fahrer etwas daran gewöhnen muss, dass die Power nicht von ganz unten anliegt. Für mich hat dieses Motorrad definitiv auch von unten heraus genug Punch. Auf der Landstraße freue ich mich erstmal eine Viertelstunde über den Motor, teste die Modi durch, dann interessieren mich die anderen Komponenten mehr.

Die Bremsen greifen erstmal relativ weich, bei stärker Bremsung erledigen sie ihren Job aber mit großem Nachdruck. Ein paar Versuche von 30, 50, 70 voll ins ABS – ich fühle mich zu jeder Zeit sicher. Wie ist es mit Handling? Ich hab leider keine allzu kurvige Strecke erwischt, deshalb bei 30 bis 70 ein wenig Slalom, später auch noch im Schrittempo. Es bleibt dabei: Sie will klare Lenkimpulse, dann geht sie aber willig mit. Ein paarmal um den Kreisverkehr und in den Autobahnauffahrten: das geht gut, da geht sicher viel, wenn man sich mal in die Berge aufmacht und die ersten 10, 20 Kehren hinter sich hat. Was ich gar nicht sagen kann: Ob ich mit ihr neben dem Teer unterwegs sein will, für einen Handling-Test im Schotter war die Zeit zu kurz (und mir war auch das Risiko etwas zu hoch, mit den 2000€ Selbstbehalt der Vollkasko Kontakt aufzunehmen).

Nach 45 Minuten fühle ich mich komplett in das Motorrad integriert, muss leider zurück. Also nochmal Autobahn. Ich bin bin ein 130 Reisetempo-Fahrer, hab es nicht mit hohen Geschwindigkeiten auf dem Motorrad. Deshalb überrasche ich mich selbst als ich mit großer Begeisterung mit knapp 190 Richtung München geflogen bin. Das Windschild macht einen guten Job. Überhaupt, das viel besprochene Windschild: Im Stand auf höchster Stufe wackelt es deutlich, wenn man es mit der Hand bewegt. Bei 190 auf der Autobahn wackelt nichts. Die meiste Zeit hatte ich es in der niedrigen Position, da ist auch bei 30 Grad die Belüftung prima. Ich hab schnell Vertrauen aufgebaut und der Motor macht so viel Spaß, dass ich ihn bis zum Autobahnende antreibe.

Ich rolle zurück auf den Hof, die Lederwesten grüßen freundlich. Absteigen, Helm ab, einmal rund um das Motorrad gehen. Die Front sieht nach der Fahrt sogar ein kleines bisschen gut aus. Ich mach noch ein Foto, dann kommt einer der Verkäufer und spricht mich auf mein fettes Grinsen an. Das habe ich auch jetzt, knapp 3 Stunden nach der Fahrt noch im Gesicht. Ob ich mir die Pan Am kaufen werde? Ich weiß es nicht. In der engeren Wahl ist sie in jedem Fall. Der Motor ist einfach saugut, mir gefällt die Form von der Seite und von hinten wirklich gut – an die Front könnte ich mich gewöhnen. Der Preis im Verhältnis zur Ausstattung ist sehr gut.
Dann wieder auf meine alte 1200GS. Der Boxer läuft weich und ich könnte sie auch mit einem Finger vom Hof weg um die Kurve dirigieren. Naja, der Vergleich ist unfair: Meine GS ist wie ein Paar gut eingelaufener Schuhe. Ich fühle mich zuhause. Und auch, wenn das Grinsen bleibt: Ich ahne, was ich in ein paar Wochen nach der Probefahrt auf der aktuellen 1250GS sagen werden.

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