Der Länge nach durch – weil ich es will

Die Fähre kommt pünktlich 9.15 in Kiel an, ich komme rasch vom Schiff. Es geht schnell auf 26 Grad. Für den Tag sind wirklich beängstigende Unwetter angesagt.

Wetter kann man sich nicht aussuchen. Die Reisegeschwindigkeit auch nicht immer. Ich bin erholt, die Überfahrt war mehr als ruhig. Und mich packt die Sehnsucht nach denen, die zuhause auf mich warten. Also auf die Autobahn und südwärts. Wie vorhergesagt klettert das Thermometer auf 33, 34, 35 Grad – gegen 17 Uhr in Franken werden es sogar 36 sein. Ich gönne mir fast keine Pausen, nur beim Tanken ein schnelles Sandwich. Gewitter kommen normalerweise eher am Abend, also kämpfe ich gegen den schmerzenden Hintern und spule Kilometer ab.

Elbtunnel – ohne Stau. Hannover – läuft. Dann Kassel. Kassel weiß noch nicht, dass am Abend wirklich böses Hochwasser kommen wird, dass alle Züge stehen und eine Menge Autos kaputt gehen werden. Zwischendurch ein paar Tropfen, sorgenvolle Blicke in den Himmel. Das Navi sagt 75 Minuten Verzögerung. Dann 60, dann 15 – hoffentlich ist der Stau weg, wenn ich dort… Nein, er ist noch da und er ist wirklich lang. Ich bleibe 5 Minuten in der Kolonne stehen, dann merke ich, dass ich die Hitze nicht aushalten werde. Ich weiß, es ist verboten – ich weiß aber nicht, wer sich das ausgedacht hat. Motorradfahrer, die sich vernünftig kleiden, können im Stau bei 35 Grad nicht auf offener Autobahn in der Sonne stehen bleiben. Das führt unweigerlich zum Kreislaufkollaps. Also schiebe ich mich vorsichtig über Kilometer zwischen den Autos durch. Die meisten nehmen das nicht nur gelassen, sie machen auch Platz. Danke! Aber es gibt auch die, denen der Blutdruck steigt, die wirklich absichtlich die Gasse zumachen und auf 30 cm neben einen LKW fahren, damit man nicht durchkommt. Nicht oft, aber es gibt sie. LKW-Fahrer sind da meistens gelassener, wenn nicht sogar mitfühlender. Schaffen Lücken und in zwei Fällen kann ich um einen LKW herum weiterfahren. Im Rückspiegel sehe ich so einen Audifahrer gestikulieren. Bei 20 Grad mit Klimaanlage und Getränk in Reichweite. Aber wie sagt man so schön: Es lohnt sich nur zu streiten, wenn man es mit jemandem zu tun hat, der überhaupt in der Lage ist, sich in einen anderen Standpunkt hineinzudenken.

Es folgen Staus durch Unfälle, irgendwo werden die Reste einer Wohnwageneinrichtung eingesammelt, ein LKW-Fahrer löscht etwas unter den Reifen seines Anhängers, es gibt Baustelle an Baustelle an Baustelle – immerhin, das Gewitter bleibt aus. Am Steigerwald nochmal tanken, irgendwann, 60km vor München, der Anruf bei Susanne, dass ich es heute noch heimschaffe. Sie warnt, dass dort gleich das Gewitter losbrechen soll. Ich kann es nicht glauben, weil ich im schönsten Sonnenschein ein letztes Mal den Hintern entlaste. Aber gut, besser bei Gewitter schon in der Stadt als noch mitten auf der Autobahn zu sein. Also die letzten Kilometer mit 160, 170 heimbrettern.

Nach Freising sehe ich die dunkle Wand, die sich über der münchner Ebene aufgebaut hat. Am Himmel die ersten Blitze, bei der Allianzarena brechen Regen und Sturm los. Ich schaffe es in die Stadt und bin nass. Der Verkehr stockt, ich nehme kleine Nebenstraßen, Susanne bestellt Pizza und nach knapp 11 Stunden Reisezeit sind die 881km geschafft. Ich bin zuhause und in jeder Hinsicht dankbar – dass ich weg sein durfte, dass ich wieder da sei darf und dass die Fahrt gut gegangen ist. Und ich hab neue Freunde von Ikea aus Göteborg dabei.

Wovon ich während dieser Reise nicht viel gesprochen habe: die vielen kleinen Momente, in denen ich mit meinem Hirn in Zwiesprache und sogar Streit geraten bin. Ich wollte mich neu ‘kalibrieren’, das habe ich auch begonnen. Für den Moment reicht es aus, wenn ich das so zusammenfasse: Ich habe verstanden, dass ich eine Superkraft habe: meinen Willen. Ich kann mich unheimlich oft überwinden, kann durchhalten, kann eigentlich auch immer das erreichen, was ich wirklich will. Was dafür spricht, dass ich meine Leistungsfähigkeit einschätzen und mir – zumindest gerade noch – realistische Ziele für meine Möglichkeiten vornehmen kann. Und gleichzeitig hat diese Kraft eine enorme selbstzerstörerische Wirkung. Weil ich dauernd etwas will, bin ich dauernd in Aktion, kann kaum stillhalten. Und wenn ich zur Ruhe komme, dann sagt mein Hirn: “Was könntest Du denn als nächstes wollen?” Und ich mache Pläne. Pläne machen – die Ersatzdroge für mein willensgesteuertes Hirn. Deshalb nehme ich mir ein kleines Ziel vor: Bis nach dem Sommerurlaub, also für die nächsten 9 oder 10 Wochen keine großen Pläne machen und die Dinge einfach laufen lassen. Keine Pläne machen, nichts unbedingt wollen – das klingt doch nach einem guten Plan, oder? Das will ich im Moment wirklich. Ach verdammt… Und ich bin mitten im Basisdilemma der Meditation: nicht denken! Auch nicht denken, dass man nicht denkt. Auch nicht denken, dass man nicht denken soll, dass man nicht denken soll… Ich verstehe so langsam, warum man in buddhistischen Klöstern so viel auf stupide Hausarbeit gibt. Einfach machen, ganz routiniert. Da schaltet sich das Denken aus. Ich gehe jetzt kochen.

* geschrieben habe ich das übrigens nach 10 Stunden Schlaf und nachdem ich meine Koffer ausgepackt habe.

Wenn Sie einen Rechtschreibfehler gefunden haben, benachrichtigen Sie mich bitte, indem Sie den Text auswählen und dann Strg + Eingabetaste bzw. control + Eingabetaste drücken. Die Meldung erfolgt anonym.