Senja – Andenes, Wale und Pause

Freitag 21.6. und Samstag 22.6.

Ich habe definitiv eine Pause gebraucht. Das merke ich daran, dass ich gestern nach der Whale-Watching-Tour und einer Tütensuppe in allen Klamotten in den Schlafsack gekrabbelt bin und sofort das Licht aus war. Ich habe mich fast unbemerkt die ganze Zeit ein klein wenig gehetzt – nicht sehr, aber irgendwie doch.

Und der Tag gestern war, obwohl das vermutlich der Tag mit den allerwenigsten Kilometern war (vielleicht 80), super anstrengend. Ich bin um 9 Uhr zur Fähre, wieder 10 Km Schotter, teilweise in Schlingertiefe, hatte eine nette aber müde Überfahrt von Senja nach Andenes im Norden der Vesteralen, 

dort dann im Regen das Zelt aufgebaut, eine Turbodusche, denn ich konnte mich selbst nicht mehr riechen, so sehr habe ich mich gerochen. Im letzten Satz frische Klamotten bin ich knapp pünktlich und durchgefroren am Leuchtturm angekommen – dem Startpunkt des Ausflugs. 

Das Wal-Museum dort ist teilweise sehr handgemacht und gar nicht der modernen multimedialen Museumspädagogik entsprechend aufbereitet – das fand ich sehr angenehm. Ich war in einer Gruppen mit einer sehr netten und kompetenten deutschen Führung, bei der ich wirklich viel über Wale gelernt habe. 

Die Tour selbst: Man sollte unbedingt hellhörig werden, wenn die Guides beim Losfahren mehrfach darauf hinweisen, dass man sich immer gut am Schiff festhalten soll, weil es draußen „etwas größere Wellen“ habe und dass sie gerne jedem, dem übel wird, helfen und sie gerne auch Decken und Overalls verteilen, wenn man friert. Gut, ich hatte gefühlt 26 Lagen Kleidung dabei und gefroren habe ich schlussendlich nur an den Händen. Aber fünf Minuten nach der Hafenausfahrt hat die erste Passagierin gekotzt, innerhalb der ersten Stunde ein knappes Drittel der Passagiere. Und dann haben wir Grindwale (Pilotwale) gesehen, und es ging plötzlich allen gut. Per Unterwassermikrophon wurde auch noch ein Pottwal geortet, der aber in der Tiefe weiter raus aufs offene Meer geschwommen ist. Unser Kapitän Ahab fuhr munter eine Stunde lang hinterher, die Wellen wurden einstweilen immer größer, auf dem Schiff haben inzwischen 3/4 der Leute gekotzt (und das ist keine Übertreibung), dann musste Ahab die ‚Jagd‘ abbrechen, weil die Wellen zu hoch wurden (es waren Wellen, die durch die Strömung erzeugt wurden, nicht durch den Wind, genau verstanden habe ich es nicht, das Schiff lag aber teilweise arg auf der Seite). Ich habe mir in weiser Voraussicht einen Platz an der Reling gesucht, von dem aus ich den Horizont in Fahrtrichtung sehen konnte — und den habe ich, mit Unterbrechung der Grindwalbeobachtung, rund vier Stunden fest angestarrt. Meine Güte, war mir schlecht. Aber ich habe durchgehalten. Die linke Hand war zwar an der Reling festgefroren, denn es hatte definitiv keine 15 Grad, auch wenn die das auf dem Schiff behauptet haben.

Grindwale sehen wie sehr große Delfine aus. Sie können bis zu 8 Meter werden, sind sehr soziale Tiere, die sich um ihre Gruppe kümmern. Sie sind meistens in Gruppen von 20-100 Tieren unterwegs. 

Wir haben gut 20 gesehen, darunter ein Baby. Am meisten hat mich beeindruckt, wie selbstverständlich und ruhig sie unterwegs sind. Nicht dieses hektische im Kreis schwimmen, das man aus Aquarien von großen Fischen kennt.

Und als der Kapitän den Motor (fast ganz) ausgemacht hat und wir nur neben den Tieren hergetrieben sind, hat man sie bei jedem Auftauchen atmen hören. Dieses Geräusch fand ich großartig, die Stille auf der See und nur diese Tiere, die fast lautlos schwimmen und nur atmen. 

Ich werde hier oben im Norden ziemlich sensibilisiert für die Zerbrechlichkeit von Ökosystemen, vielleicht auch, weil manche der Systeme hier besonders zerbrechlich sind. Mir ging das schon im Polarium in Tromsø so: Wenn ich sehe, dass seit 1992 40% des Eises im Nordpolarmeer geschmolzen ist, 

wenn ich dann verstehe, welche Veränderungen der gleiche Klimawandel, der das verursacht, für die Tiere hat (wärmeres Wasser führt zu geändertem PH-Wert, das Wasser wird saurer, was für alle Lebewesen im Wasser, die Knochen haben, sehr schlecht ist), wenn ich im Samenmuseum gezeigt bekomme, wie lange die Natur hier oben braucht, um sich nach menschlichen Eingriffen wieder zu erholen, wenn ich höre, dass gestrandete Wale in der Regel den Magen voll mit Plastikmüll haben, dann frage ich mich wirklich, was eigentlich passieren muss, dass wir vom Verstehen zum Handeln kommen.
Und als ich dann diese Tiere gestern in ihrer natürlichen Umgebung – nicht einer künstlich von uns geschaffenen Aquarienwelt und nicht im Museumsfilm – gesehen und gehört und erlebt habe, das hat mir buchstäblich die Tränen in die Augen getrieben und tut es gerade wieder. Ich weiß noch nicht was, aber etwas muss ich aus dieser Erfahrung machen. Mir geht das angesichts der Weite und Größe und der wirklich beeindruckenden Natur hier oben schon die ganze Zeit so: Für mich relativiert das nicht nur die Bedeutung des Einzelnen, das verpflichtet auch irgendwie zum Handeln. So, das waren die moralischen fünf Minuten. Da sieht man mal, was passiert, wenn man mich 10 Tage alleine irgendwo rumkurven lässt. 

Heute jedenfalls ist einen wichtiger Pausentag. Ich werde Wäsche waschen, ein Essen kochen, das nicht vorwiegend aus Instantzutaten besteht, aufs Meer gucken, alle Akkus aufladen, Kaffee MIT Milch trinken und aufs Meer gucken. Ach so, vielleicht, aber nur sehr vielleicht werde ich auch aufs Meer gucken. Aber nur, wenn mir das nicht zu anstrengend wird.

Morgen geht es dann weiter, wahrscheinlich auf die Lofoten. Vielleicht – das weiß ich aber noch nicht – lasse ich die große Runde über Bergen, Starvanger und Kristiansand, die ich mir für Südnorwegen vorgenommen hatte, weg und lasse mir hier oben dafür mehr Zeit. Vielleicht. Die gute Nachricht ist: Ich habe Zeit, darüber nachzudenken.

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