Es regnete und regnete und regnete (Pu Bär)

24.6. morgens

Als Nachklapp zu gestern: Auf Andenøy (Vesteralen) bin ich gestern Früh an der norwestlichen Küste auf einer recht kleinen Straße entlang gefahren. Ich war alleine unterwegs, an den Buchten standen immer wieder Wohnmobile, die Straße war leer, in einem kleinen Ort winkt ein älterer Herr, in einem anderen winke ich einem kleinen Kind, das mit Mama und Dreirad unterwegs ist. Beschaulich, ruhig, kalt, ich bin ganz für mich.

Als ich später auf die E10 auf die Lofoten einbiege, habe ich das Gefühl, ich wurde von einer unsichtbaren Hand auf ein Gleis gesetzt und jetzt bewegt sich ein Zug, an dem ich nur noch als ein Wagen hänge. Wohnmobile reihen sich an Mietwägen an Motorräder an Wohnmobile an Wohnmobile an Wohnmobile. Ein Parkplatz mit Aussicht: alle blinken rechts. Die ersten Parkplätze lasse ich aus, dann mache ich ein paarmal mit, halte an und mache Fotos, dann versuche ich es mit Überholen, dann gebe ich auch das auf und schaue mir einfach so die Landschaft an, die unter dicken Wolken liegt. Die Lofoten sind ein wenig die pointierte Zusammenfassung Norwegens, sie sind spektakulär: 1000, 1200 Meter hohe Berge direkt am Fjord, am See, am Meer – das ist beeindruckend. Man sollte hier wandern, eine Querstraße rechts nehmen, dann eine links und dort das Zelt hinstellen und eine Woche bleiben. Aber mir ist nicht danach. Langsam merke ich, dass mich mein ursprüngliches Thema wieder mehr einholt: Kann ich alleine reisen? Ja, das kann ich, ich komme gut, meist sogar überraschen gut mit mir alleine klar. Und ich genieße es sehr, nur auf mich und meinen Rhythmus achten zu müssen. Zu Beginn der Reise habe ich meine Alltagsprogramme übersetzt in Reiseprogramme, das war gut und notwendig, damit ich mich zurechtfinden und in diese Reise hineinwachsen konnte. Jetzt passt das – ich kann das auch ohne funktionale Programme und etwas trödeliger, fühle mich nicht einsam oder alleine. Aber rechts und dann links auf den Lofoten abbiegen und dort eine Woche bleiben? Das will ich nicht alleine machen. Alleine fahren ist gut, alleine unterwegs sein auch – das war auch der Plan. Alleine irgendwo bleiben, das hat auf den Vesteralen einen Tag lang gut getan. Zum Durchatmen. Aber im Moment will ich nicht länger alleine irgendwo bleiben. Ich habe ein wenig Heimweh, merke ich gerade. Beim Blick auf die Karte denke ich seit zwei Tagen nicht mehr: da will ich hin, das sieht toll aus, wie schön, dass ich…, sondern: bofff, ist das weit, wie komme ich denn da jetzt am besten langsam runter Richtung Trondheim, will ich wirklich die kleine Küstenstraße nehmen, die von gefühlt 500 Fähren unterbrochen ist? Zumal wenn sich das dann, was ich nach Gesprächen mit anderen Leuten jetzt stark vermute, auch als so eine Wohnmobilroute herausstellt. Ich bin heute um 5 Uhr aufgestanden, um 7 Uhr ging die Fähre ab, auf der ich gerade sitze, und ich komme in 2 Stunden in Bodø an. Mal sehen, welchen Abzweig ich nehme.

Vor der Abfahrt habe ich mich am Hafen mit einem Harley-Fahrer unterhalten: Er hat in den letzten 2,5 Wochen 10.000Km von Kaiserslautern über die Öresundbrücke durch Schweden hoch an die finnische Grenze, dort wieder runter (sic!) bis Helsinki, dann meinen Weg durch die finnische Seenplatte hoch ans Kapp gemacht und fährt jetzt dann die eher öde E6 runter und wieder über Schweden und Öresund zurück nach Hause. „Einfach nur fahren, mindestens 500-600 Km am Tag.“ Da kriege ich schon vom Zuhören eine Sehnenentzündung im rechten Handgelenk. Hm, das Schiff schaukelt ordentlich. Hoffentlich habe ich das Moped gut festgebunden. Und hoffentlich hat der Typ neben mir das auch. Cool als Motorradfahrer auf kleinen und mittleren Fähren ist, dass man als erster reinfahren darf

und – wenn man nicht wie ich immer furchtbar trödelt – dann als erster die guten Plätze auf Deck belegen kann. Und nur nebenbei gefragt: Warum habe ich mir hier auf der Fähre gerade statt eines Joghurts eine kalte Hafergrütze mit getrockneten Blaubeeren und Nüssen gekauft? Ich glaube, im norwegischen Wort Havregrøt steckt genau der Laut, den ich jetzt machen möchte.  

Norweger scheinen übrigens eine etwas andere Vorstellung von Museen zu haben, merke ich – weniger akademisch, mehr auf Erfahrung zielend. Vielleicht ist es Zufall (zumal ich ja nicht nach Oslo komme und dort sicher auch andere Museen zu finden wären), aber bisher habe ich lauter putzige Mitmach-Museen besucht. Im Wikingermuseum gestern hatte ich zuerst das Gefühl, ich bin auf einem Mittelaltermarkt gelandet – lauter verkleidete Leutchen, die nähten, schnitzten, schmiedeten. Je älter ich werde, desto mehr gefällt mir das. Was nützt das ganze gespeicherte Wissen der Welt, wenn man nicht die Möglichkeit hat, es als Erfahrung zu sich selbst in Beziehung zu setzen? Vom Showing und Telling zum Doing. In Bodø soll es übrigens regnen. Ich schau, dass ich noch eine Mütze Schlaf bis dahin kriege.

24.6. abends gegen halb Zehn

Ich weiß jetzt, warum die Norweger so viele lange Tunnels bauen: Das sind die Kilometer am Tag, die man sicher regenfrei fahren kann – dachte ich. Dann bin ich in irgend so ein 7Km langes Röhrendings gefahren und was soll ich sagen: Es hat im Tunnel geregnet. Immerhin hatte ich die ganze Fahrt über flauschige 9-11 Grad, die Klamotten waren dicht,

Ich habe heute insgesamt 4 Fährüberfahren machen dürfen müssen (macht schon immer noch Spaß, nicht aber bei den Wetter), bin wieder südlich des Polarkreises, den ich diesmal auf dem Schiff überquert habe. Man wurde ausführlich darauf hingewiesen, dass man immer noch nördlicher als die Hauptstadt von Alaska sei. Und ich kam an Norwegens zweitgrößtem Gletscher vorbei.

Wenn es nicht so mistig gewesen wäre, wäre ich mit dem Schiff gerne rübergefahren und hochgelaufen. Die Landschaft von Bodø aus auf der Küstenstraße RV17 ist phänomenal schön, in kurzen Regenpausen habe ich einen flüchtigen Eindruck davon gewonnen. Bisher gefällt mir die Ecke um Tromsø, die Vesteralen über die Lofoten bis hier her (ich bin gerade bei Levang auf einem Bauerhofcampsite am Ranafjorden) außerordentlich gut.


 

Trotzdem werde ich morgen ins Landesinnere abbiegen, durch den ehemals längsten Tunnel Norwegens (rund 10 Km) fahren und sehen, dass ich auf der E6 ein paar Kilometer südwärts mache. Ab Trondheim soll das Wetter etwas verlässlich besser sein – zumindest für ein paar Tage. Mal sehen.

Jedenfalls trotz des langen und anstrengenden Tages: Mir geht‘s gut, der schlimmste Teil vom Heimwehanfall ist zumindest für heute rum und ich hatte Chilibohnen mit fertigem Kartoffelpüree (und bin echt zu doof, um sowas zuzubereiten).

Und jetzt ist es gut. Ich muss duschen, bin sonst nicht salongfähig.

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