Nach Strömsund

Solche Solo-Motorradreisen sind richtige Intensitätsverstärker. Selbst an Tagen, an denen nichts passiert, passiert so viel – Gerüche, Blicke, kurze Gespräche, Eindrücke, Ungewohntes.

 

Man wird immer und immer wieder auf sich selbst zurückgeworfen, weil man alles alleine sieht, riecht, hinterfragt und mit sich und auch mit seinen Ängsten alleine ist. Ist das noch eine Straße, die ich mir zumuten kann? Was, wenn dir hier etwas passiert? Reicht das Benzin? Ist der Schotter da vorne fest genug für meine Fahr(un)künste? 40-50 km lieber fahren, nicht anhalten, weil: solange man fährt, geht es ja weiter. Irrational. Kein Fotostop. Das, was man da erlebt und sieht und riecht, passt eh auf kein Foto. Nur für die Rentiere auf der Landstraße muss ich halten. 

Dann plötzlich: Blumenwiesen, volle Frühlingswucht, überwältigend. Eine Tankstelle, am Horizont schneebedeckte Berge, wieder die roten Häuser am See, die freundlichen Leute, die den ganzen Tag auf ihre Schaufel gestützt am Straßenrand stehen und mit Nachbarn reden und Vorbeifahrern halb freundlich, halb skeptisch zurückwinken.

Pause am See.

In der Früh ein Geschäft gefunden, das 24 Stunden geöffnet hat. Ich verstehe das nicht, aber eine junge Schwedin erklärt es mir: Du lädtst eine App aufs Handy, registrierst dich, scannst den Shopcode an der Tür ein, die Tür geht auf und Du bist allein im kleinen Supermarkt. Gut, Videoüberwachung gibt es natürlich schon.  Du gehst mit deinen Einkäufen an eine Mischung aus Waage und Kasse, scannst alles ein, wiegst deine Banane, steckst die Karte ins Lesegerät, bezahlst und gehst. So kann Versorgung im ländlichen Raum auch funktionieren. Eine  Mischung aus Vertrauen und Kontrolle.

Draußen leider kein Benzin, dafür – wie in fast jedem Weiler – eine Tankstelle für E-Autos. Dann jetzt weiter nach Strömsund, im Ausgangspunkt für den Vildmarksvägen.

In Stromsünd mit dem Motorrad diskutiert, ob es wirklich zu wenig Öl hat (hat es nicht, ich hab mich durchgesetzt), entschieden, dass der örtliche Campingplatz zu campingplatzmäßig ist (jetzt bin ich verwöhnt), eingekauft und 30km aus dem Ort raus zum nächsten großen See, dort wieder so ein Naturcamp, diesmal allerdings bereits von Mücken und Deutschen besiedelt. Egal. In der prallen Sonne sind die Mücken zurückhaltend und aus dem Zelt werde ich sie schon fernhalten, also die Mücken und die Deutschen.

Der See ist riesig, der schnaufende junge Allgäuer auch (also im Umfang), der seiner Frau gerade erklärt, wie sie richtig in den See gehen kann. Gut, dass es noch junge Männer gibt, die die Welt verstehen und sie ihren Frauen erklären – sonst wäre das ja am Ende Augenhöhe… Da fällt mir ein, was mir hier aufgefallen ist: Bauarbeiterinnen, Müllfahrerinnen, überhaupt Lastwagenfahrerinnen, Palettenlieferantinnen hab ich in den wenigen Tagen hier schon mehr gesehen als in den letzten Jahren zusammen bei uns zuhause. Vielleicht ist ja wirklich was dran, dass hier mehr Gleichberechtigung gelebt wird?

Und noch was ist mir aufgefallen. Es hat viel Wald hier. (Überraschung!) Aber in manchen Gegenden wird radikal abgeholzt. Ob das am Naturschutz liegt oder Holzwirtschaft ist? Ich glaube Letzteres. Dafür sprechen die Fabriken/Kraftwerke, die gesehen habe.  Wenn man über zerstörerische Rodung von Wäldern spricht, tut man das eigentlich auch über diese hier im Norden? Muss ich mal nachlesen.

Neben mir macht ein älterer Deutscher Feuer und schwupps dreht sich wieder alles um: Seine Frau steht seit 10 Minuten neben ihm, schüttelt den Kopf und sagt: „Das wird nix! Das ist ja gar nichts! Das hättste ganz anders anfangen müssen!“

Wenn ich es nicht gesellig haben will (oder Teil eines Ehestreits werden will), dann sollte ich wohl früh ins Bett gehen.

Ach, und es gibt eine nette kleine Souvenir-Box mit Vertrauenskasse.

Morgen geht’s weiter – zurück nach Strömsund und auf den unbefestigten Teil des Vildmarksvägen, von dem ich ansonsten immer mehr annehme, dass er ein Tourischmarrn ist. Macht nichts, er ist ja nur mein Wendepunkt. Und die Sami-Kirche und den hohen Pass schaue ich mir an. Ich gehe hier nicht weg, ohne Schnee gesehen zu haben. 

Ps. Jetzt sieht der Grillmeister  es selbst ein: „Das wird nix heute!“ Und holt den Gasgrill. Seine Frau rollt mit den Augen und der Allgäuer prustet im Vorbeigehen „Mahlzeit“. Kannste dir nicht ausdenken.

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